Die bäuerliche Schicht Europas im Zuge der Türkenbedrohung

Den Bauern des christlichen Europas wird eine besondere Rolle in den zwei Jahrhunderten der Türkengefahr zugeschrieben. Sie waren es, die am meisten an der ständigen Bedrohung leiden mussten. Nicht nur durch die ständige Angst um ihr Leben, Gesundheit und Familie, welche die bäuerliche Schicht in Grenznähe erleiden mussten, sondern auch durch die drückende Steuerlast, die sich im Zuge der Türkengefahr verstärkte, wurden die Bauern in Mitleidenschaft gezogen.
Die Türkenbedrohung war somit eine bedeutende Ursache für die großen Bauernaufstände des späten 16. und des frühen 17. Jahrhunderts. Speziell der Bauernaufstand von 1596/97 wurde durch die immer höheren Truppenaushebungen und Türkensteuern mitverursacht. In diesem Zusammenhang wurde auch die militärische und propagandistische Unterdrückung immer wieder verstärkt (1). Den Bauern des ganzen Reiches wurde durch Flugschriften die Notwendigkeit der Türkenabwehr als Verteidigung des Christentums zu Gemüte geführt, was die erhöhten Steuern rechtfertigen sollten. Diese Türkensteuer sowie die Propaganda betrafen die österreichischen Erblande, meistens aber das ganze hl. röm. Reich deutscher Nation, dies war jedoch von der Zustimmung der Reichsfürsten abhängig. Für die Bevölkerung, die nicht direkt von der Türkenbedrohung betroffen waren, erwiesen sich diese Steuern und Abgaben als unverständlich und führte somit zu Auflehnungen gegen die Obrigkeiten. In diesem Zusammenhang ist es somit fragwürdig, ob ein europäischer Einheitsgedanke in dieser sozial niedriger gestellten Schicht bestand. Die Solidarität gegenüber den Glaubensbrüdern und Reichsangehörigen zu wünschen übrig, dies ist auch auf die generelle Lage in der FNZ zurückzuführen, womit die Solidarität hinter die eigenen Bedürfnisse gestellt wird.
Den grenznahen Bauern, die aus dieser Solidarität und der darauf folgenden Abwehr der Türkenbedrohung, profitieren sollten, fanden sich in einer schwierigen Lage wieder, die sich auch für die Obrigkeit als Problem erwies. Nach der Schlacht von Mohács 1526 und der späteren Wiener Türkenbelagerung 1529, konnten die Türken ihre überwiegende Herrschaft schließlich ab 1540 in Ungarn festigen. Für die Habsburger bedeutete dies nun eine direkte Grenze zum türkischen Sultanat, gegen das sie militärisch unterlegen waren und somit der einzige Weg in Richtung Friedensverträge möglich war. Das 16. Jahrhundert war geprägt von Kriegen zwischen dem Hause Habsburg und dem osmanischen Reich durchzogen von Friedensverträgen, die jedoch grenzübergreifende Kleinkriege nicht ausschlossen. Für das europäische Feudalsystem und somit auch für die Bauern war dies ein großes Problem. Die Bauern waren immerwährenden Plünderungen, Verschleppungen und Mordungen ausgesetzt. Darüber hinaus mussten die Bauern der grenznahen Gebiete eine doppelte Steuerlast ertragen, da sich die Steuerlisten der Habsburger und Türken teilweise überschnitten. Durch diese Plünderungsstreifzüge der Türken, die wegen ihrer Spontaneität und Schnelligkeit nur schwer aufgehalten werden konnten, waren die Adeligen einem Problem ausgesetzt. Laut dem europäischen Feudalsystem hat der Feudalherr eine Schutz und Schirmpflicht gegenüber seinen Untertanen, wohingegen diese Abgaben und Steuern leisten mussten. Durch die türkischen Überfälle konnte diese Pflicht der Feudalherren, die in ihren Burgen unbetroffen waren, nicht erfüllt werden, was die Gemüter durch die bestehenden Missständen und Steuerlasten erregte.
Aus diesen Gegebenheiten entwickelte sich ein überraschendes Phänomen: Die „Türkenfreude“. Diese Sehnsucht nach türkischer Herrschaft war besonders in den unteren sozialen protestantischen Schichten vertreten. Ein Sprichwort lautete: „Lieber Türkisch als Päbstisch.“(2) Motiviert durch Steuerlast und etwaigen Missständen, wirkte das türkische Reich anlockend. Der türkische Staat galt als unbesiegbare Militärmacht, als Land der Toleranz in einem von Glaubensspaltungen und konfessionellen Kämpfen erfüllten Europa und schließlich als Land der Gleichheit, in dem der Zufall der Geburt keine Rolle spielte und alleine die Tüchtigkeit über das Fortkommen entschied (3). Selbst Luther kommt in seinen Türkenschriften auf dieses Problem zu sprechen: „Ja, es gibt unter uns Türkenhörige, eine fünfte Kolonne von solchen, die lieber unter dem Türken als unter dem Kaiser oder Fürsten sein wollen und der Türken Ankunft und Regiment begehren, getreu der Marime „Flectere si nequeo superos, Acheronta movebo“(4).(5) “ Dies war aber durchaus kein kollektives Handeln, da es nur in einzelnen Provinzen auftrat, was jedoch die Bedeutung nicht schmälert, dass für manche Angehörige der unteren Schichten die Zusammengehörigkeit auf nationaler, territorialer, religiöser aber auch europäischer entweder nicht bestand oder sich nur als von geringerer Bedeutung erwies. Dieses vorhin angesprochene Sprichwort: „Lieber Türkisch als Päbstisch.“ zeigt die innerchristlichen Probleme und Feindseligkeiten, womit das Christentum als maßgebliches gesamteuropäisches Kulturelement dieser Zeit an ihrer Kraft verlor, wenn sogar „Andersgläubige, Heiden“ über das Grundkonzept des gemeinsamen Glaubens gestellt wird.
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(1) K. Vocelka, Die politische Propaganda Kaiser Rudolf II (1576-1612), Wien 1981
Ein Beispiel für die hier gemeinte Propaganda, die das einfache Volk von der türkischen Bedrohung überzeugen sollte ist die Darstellung des Pontius Pilatus als Türke im Lambacher Kreuzweg. Der Verurteilter und Mitschuldige an Christies Tod und somit Erzfeind der gesamten Christenheit wird als Türke, erkennbar durch die spezifische Kleidung mit Turban, dargestellt.
(2) Maximilian Grothaus; Das Türkenfeindbild; Im Buch für die Lehrer Seite 57-67
(3) Hans Wagner; Österreich und die Türken S. 13-19
(4) „Kann ich den Hommerl nicht umstimmen, will ich die Hölle aufrühren“ – Bergils Üneis
(5) Martin Luther. Aufruf an die bedrohte Christenheit Aus Luthers Türkenschriften; Karl Kindt Hamburg 1951; Kapitel Süleiman bei uns selbst Seite 19; Zitiert aus der Münchner Luther Ausgabe (2. Aufl., Ergänzungsreihe, 3. Band, 1938)

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