Donnerstag, 31. Januar 2008

Fazit – Einheit vs. Macht

Der europäisch/abendländische Einheitsbegriff entwickelte im Zuge der Türkenbedrohung eine Bedeutung für Weltlichkeit sowie Geistlichkeit. Wie erläutert basierte das Zusammengehörigkeitsgefühl des Einheitsgedankens auf dem Christentum, welches sich durch die Türken vom Islam bedroht fühlte. Für über 200 Jahre standen sich Islam und Christentum feindlich am europäischen Kontinent gegenüber und erweiterten dadurch auch die kulturellen Einflüsse auf Europa.
Sowohl Luther als auch die Päpste der frühen Neuzeit sahen die Türken als eine Geißel Gottes und eine apokalyptische Bedrohung (1). Somit wurden die osmanische Bedrohung unabhängig von der Konfession als eine Gefahr für das Christentum gesehen, der Basis des Einheitsgedankens. Im Zuge der Türkenbedrohung wurde ein einheitliches Agieren der Reichsstände, durch Türkensteuern und „eilenden Türkenhilfen“, möglich, was die Erkenntnis einer gemeinsamen Aufgabe der Verteidigung der Christenheit voraussetzt. Der Kaiser des hl. röm. Reichs musste jedoch den protestantischen Reichsfürsten Zugeständnisse zuweisen um deren finanzielle und materielle Hilfe zu erlangen. Kurzfristig gesehen könnte dies eine Stellung der christlichen Einheit über innereuropäische Konflikte beweisen. Davon abgesehen, dass ein Großteil der Gelder, die durch Türkensteuern eingetrieben wurden nicht für die Türkenabwehr investiert wurden, steht auch die christliche Solidarität zwischen der weltlichen Ausübung des Einheitsgedankens und deren Ausnützung in Frage. Ein selbstloser Einsatz einer europäischen Macht zur Verteidigung Europas ohne machtpolitische Hintergedanken hat nicht stattgefunden. Die Habsburger zogen beispielsweise nicht gegen die Osmanen, als sie Ungarn bedrohten, sie versuchten vielmehr das Machtvakuum für ihre Expansionspläne auszunutzen. Erst als die Türken eine direkte Bedrohung für sie darstellten wurden militärische Interaktionen vollzogen, womit die Existenz europäische Solidarität auf politischer Ebene verneint werden muss.
Die Beobachtungen unterer Gesellschaftsschichten zeigten, dass die politische Propaganda mit Hilfe des Einheitsgedankens teilweise Erfolg brachten. Je weiter sich diese Propaganda von der Kriegsgrenze entfernte, desto geringer war die Beteiligung, was wiederum gegen eine gesamteuropäische Solidarität spricht.
Folglich komme ich zu dem Schluss, dass ich die in der Einleitung angeführte Frage, ... ob der Begriff des Abendlandes/Europas ein Mittel der Machtlegitimierung war, der in den Köpfen existierte, aber für eine politisch/weltliche Umsetzung sich als nicht tragbar erwies und somit weltliche Einflüsse den Einheitsbegriff immer wieder in den Schatten stellten? ... bejahen muss und um eine propagandistischste Ausnützung des Einheitsgedankens für andere Zwecke erweitere.
Das zuletzt angeführte Beispiel eines europäischen Friedensplans, der schon einige Elemente einer europäischen Gemeinschaft, so wie wir sie heute vorfinden beinhaltet, zeigt uns, dass der Gedanke eines einheitlichen Europas in manchen Kreisen Platz fand, doch war jeder auf seinen eigenen Vorteil bedacht. Der von dem Franzosen Sully entwickelte Plan nützt diesen Einheitsgedanken aus, um eine europäische anti-habsburgerische Politik zu legitimieren, was das Königreich Frankreich natürlich unterstützte.
Es lässt sich eine allgemeine Tendenz herauslesen, die den religiösen Einheitsgedanken auf diverse weltliche Möglichkeiten umsetzt, aber immer nationale machtpolitische Ziele damit verfolgt werden, die nicht primär einer europäischen Solidarität dienten, sondern diese in manchen Fällen bloß einen Nebeneffekt darstellte, der wiederum für propagandistische Zwecke ausgebeutet werden konnte.
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(1) Die Predigt der Akopalyptik wurde am 5. Laterankonzil unter Julius II verboten. Die Deutung der Türken als Geißel Gottes blieb jedoch bestehen.

Sullys „Grand Dessein“ – Frieden durch Krieg ?

Neben Rechilieu und Crucé entwickelte auch Heinrich IV einen Friedensplan. Wodurch der Plan Heinrich IV, auch den „Grand Dessein“ genannt, jedoch für meinen Artikel von besonderer Bedeutung wird, ist die spezielle Zentrierung Europas, wohingegen Richilieu und Crucé universelle Friedenspläne, übertragbar auf alle Fürstentümer, entwickelten. Der Europaplan wurde von Maximilian de Béthune, den späteren Herzog von Sully, einem engen Vertrauten und Minister Heinrich IV, der seinem Plan dem franzöischen König zuschrieb, entworfen. Daher ist dieser Plan für ein friedliches Zusammenleben in Europa auch unter dem Namen: „Le Grand dessein de Henry IV“ bekannt. Sully, er war Hugenotte, galt nicht nur als herausragender Politiker, der selbst vor dem König seiner Meinung freien Lauf lies, sondern auch als Vertrauensmann der Protestanten in Frankreich, speziell England, und ganz Europa.
In Folge der Türkengefahr des 17. Jahrhunderts vertrat Sully eine sehr offensive Meinung der Befürwortung. Ein Krieg gegen die Türken ist alleine durch ihre Andersgläubigkeit gerechtfertigt. Daraus ergibt sich bereits eine starke Verbundenheit dieses Europaplanes zum christlichen Glauben. Sullys Ziel war die Geburt einer europäisch christlichen Republik, wo Menschen in Frieden leben können. Dieser Europaplan weist jedoch bei genauerer Betrachtung neben dem christlichen Friedensgedanken auch andere Motive auf. Um diese belegen zu können ist eine genauere Betrachtung erforderlich.
Ausgangspunkt für Sullys Überlegungen ist das Rucellais Gleichgewicht: Jeder Versuch der Unterwerfung, jede zu große Macht des einen oder anderen Staates innerhalb der Christenheit, jedes Streben zur Weltmonarchie wird immer eine Chimäre bleiben; für nützlich – ja notwendig – ist das Gleichgewicht (1). Nach Sully’s Ansicht sollte Europa bestehen aus:
· 5 Wahlmonarchien: dem Römischen Reich Deutscher Nation, dem Kirchstaat, Polen, Ungarn und Böhmen,
· 6 erbliche Monarchien: Frankreich, Spanien, England, Dänemark, Schweden und der Lombardei
· 4 souveräne Republiken: Venedig, Italien, Schweiz, Belgien.
Es werden bereist europäische Institutionen (2) sowie Handelsfreiheit und Zollfreiheiten genannt. Besonders für den Frieden Europas ist ein Gleichgewicht an Oberfläche und Reichtum der Staaten von Bedeutung, genauso wie die Gleichberechtigung der drei Religionen, der katholischen, lutherischen und calvinistischen.
Es fällt in diesem Plan jedoch auf, dass in ihren Grundfesten vom Hause Habsburg keine Rede ist. Laut Sully sind die drei wichtigsten Kriegsgründe (3):
1) Die Lasterhaftigkeit der menschlichen Natur (4)
2) Die Spaltung der Christenheit in verschiedene Konfessionen
3) Das Haus Habsburg
Daraus ergibt sich eine neue Vorraussetzung, nämlich den Sieg einer Koalition über das Haus Habsburg, das durch ihre Größe nicht in das Machtgleichgewicht Europas passen würde. Somit entpuppt sich der Friedensplan Sullys als ein Kriegsplan gegen die Habsburger, den Erzfeind Frankreichs. Dies zeigt wieder einmal, dass der religiös christliche Einheitsgedanke Europas auf die machtpolitische Ebene nur schwer übertragbar war und somit die Schwächung der Habsburger in diesem Fall über dem Gedanken der europäischen christlichen Republik stand. Diese Annahme wird auch durch die formale Struktur der „Grand Dessein“ gestützt. Die „Grand Dessein“ als kompaktes Gebilde ist nämlich äußert fragwürdig, da sie aus verschiedenen Teilfragmenten besteht, die sich teilweise gegenseitig wiederlegen. Weiters spricht auch der religiöse Aspekt für eine machtpolitisch dominierende Ebene, da ein englisch-französisches Bündnis trotz der konfessionellen Unterschiede gegen das Hause Habsburg geschlossen wurde. Die Habsburger als Vertreter der katholischen Kirche wäre aus religiöser Sicht ein Glaubensverbündeter Frankreichs, im Gegensatz zu England. Daher wird noch einmal deutlich, dass weltliche Machtverschiebungen gegen Habsburg wichtiger waren als religiöse Aspekte.
Sully hat auch die türkische Bedrohung für seine christliche europäische Republik miteinbezogen. Zur Friedensicherung soll ein konstantes europäisches Heer aufgestellt werden, das einheitliche Bedrohungen wie die Türkengefahr abwehren sollte. Einer besonderen Rolle treffen auf die Wahlmonarchien Polen und Ungarn, denen eine Abwehrrolle gegen die Türken, Tataren und Moskowiter trifft. Bei Angriffen und ernsten Bedrohungen sind alle Bündnismitglieder zum militärischen Beistand verpflichtet. Es ist jedoch zu betonen, dass der Entwurf dieses Friedensplans nicht auf einer einheitlichen äußere Bedrohung beruht, die den christlichen Glauben in Europa gefährdet, sondern auf einem habsburgerischen Machtüberschuss im europäischen Staatenkonzept. Dies stützt wiederum die These, dass der bestehende christlich-europäische Einheitsgedanke auf die weltliche Ebene der FNZ nur schwer übertragbar war und in diesem Fall nicht der Ursprung der Überlegungen war, sondern ein Instrument zur Legitimation darstellte.
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(1) Vier historische Betrachtung, Carl J. Burckhardt, Sullys Plan eine Europaordnung, Seite 24f
(2) Über diesen Staaten soll ein Europarat wachen, der aus sechs provinzialen Räten und einem allgemeinen Rat bestehen soll.
(3) Anja Victorine Hartmann, Rêveurs de Paix?, Friedenspläne bei Crucé, Richelieu und Sully ; Hamburg 1995 ; par. 56
(4) Die vier bedeutensten Laster sind: L’envie (die Lust), l’anvarice (der Geiz), l’ambition (der Ehrgeiz), l’vanité (die Eitelkeit/Einbildung).

Die bäuerliche Schicht Europas im Zuge der Türkenbedrohung

Den Bauern des christlichen Europas wird eine besondere Rolle in den zwei Jahrhunderten der Türkengefahr zugeschrieben. Sie waren es, die am meisten an der ständigen Bedrohung leiden mussten. Nicht nur durch die ständige Angst um ihr Leben, Gesundheit und Familie, welche die bäuerliche Schicht in Grenznähe erleiden mussten, sondern auch durch die drückende Steuerlast, die sich im Zuge der Türkengefahr verstärkte, wurden die Bauern in Mitleidenschaft gezogen.
Die Türkenbedrohung war somit eine bedeutende Ursache für die großen Bauernaufstände des späten 16. und des frühen 17. Jahrhunderts. Speziell der Bauernaufstand von 1596/97 wurde durch die immer höheren Truppenaushebungen und Türkensteuern mitverursacht. In diesem Zusammenhang wurde auch die militärische und propagandistische Unterdrückung immer wieder verstärkt (1). Den Bauern des ganzen Reiches wurde durch Flugschriften die Notwendigkeit der Türkenabwehr als Verteidigung des Christentums zu Gemüte geführt, was die erhöhten Steuern rechtfertigen sollten. Diese Türkensteuer sowie die Propaganda betrafen die österreichischen Erblande, meistens aber das ganze hl. röm. Reich deutscher Nation, dies war jedoch von der Zustimmung der Reichsfürsten abhängig. Für die Bevölkerung, die nicht direkt von der Türkenbedrohung betroffen waren, erwiesen sich diese Steuern und Abgaben als unverständlich und führte somit zu Auflehnungen gegen die Obrigkeiten. In diesem Zusammenhang ist es somit fragwürdig, ob ein europäischer Einheitsgedanke in dieser sozial niedriger gestellten Schicht bestand. Die Solidarität gegenüber den Glaubensbrüdern und Reichsangehörigen zu wünschen übrig, dies ist auch auf die generelle Lage in der FNZ zurückzuführen, womit die Solidarität hinter die eigenen Bedürfnisse gestellt wird.
Den grenznahen Bauern, die aus dieser Solidarität und der darauf folgenden Abwehr der Türkenbedrohung, profitieren sollten, fanden sich in einer schwierigen Lage wieder, die sich auch für die Obrigkeit als Problem erwies. Nach der Schlacht von Mohács 1526 und der späteren Wiener Türkenbelagerung 1529, konnten die Türken ihre überwiegende Herrschaft schließlich ab 1540 in Ungarn festigen. Für die Habsburger bedeutete dies nun eine direkte Grenze zum türkischen Sultanat, gegen das sie militärisch unterlegen waren und somit der einzige Weg in Richtung Friedensverträge möglich war. Das 16. Jahrhundert war geprägt von Kriegen zwischen dem Hause Habsburg und dem osmanischen Reich durchzogen von Friedensverträgen, die jedoch grenzübergreifende Kleinkriege nicht ausschlossen. Für das europäische Feudalsystem und somit auch für die Bauern war dies ein großes Problem. Die Bauern waren immerwährenden Plünderungen, Verschleppungen und Mordungen ausgesetzt. Darüber hinaus mussten die Bauern der grenznahen Gebiete eine doppelte Steuerlast ertragen, da sich die Steuerlisten der Habsburger und Türken teilweise überschnitten. Durch diese Plünderungsstreifzüge der Türken, die wegen ihrer Spontaneität und Schnelligkeit nur schwer aufgehalten werden konnten, waren die Adeligen einem Problem ausgesetzt. Laut dem europäischen Feudalsystem hat der Feudalherr eine Schutz und Schirmpflicht gegenüber seinen Untertanen, wohingegen diese Abgaben und Steuern leisten mussten. Durch die türkischen Überfälle konnte diese Pflicht der Feudalherren, die in ihren Burgen unbetroffen waren, nicht erfüllt werden, was die Gemüter durch die bestehenden Missständen und Steuerlasten erregte.
Aus diesen Gegebenheiten entwickelte sich ein überraschendes Phänomen: Die „Türkenfreude“. Diese Sehnsucht nach türkischer Herrschaft war besonders in den unteren sozialen protestantischen Schichten vertreten. Ein Sprichwort lautete: „Lieber Türkisch als Päbstisch.“(2) Motiviert durch Steuerlast und etwaigen Missständen, wirkte das türkische Reich anlockend. Der türkische Staat galt als unbesiegbare Militärmacht, als Land der Toleranz in einem von Glaubensspaltungen und konfessionellen Kämpfen erfüllten Europa und schließlich als Land der Gleichheit, in dem der Zufall der Geburt keine Rolle spielte und alleine die Tüchtigkeit über das Fortkommen entschied (3). Selbst Luther kommt in seinen Türkenschriften auf dieses Problem zu sprechen: „Ja, es gibt unter uns Türkenhörige, eine fünfte Kolonne von solchen, die lieber unter dem Türken als unter dem Kaiser oder Fürsten sein wollen und der Türken Ankunft und Regiment begehren, getreu der Marime „Flectere si nequeo superos, Acheronta movebo“(4).(5) “ Dies war aber durchaus kein kollektives Handeln, da es nur in einzelnen Provinzen auftrat, was jedoch die Bedeutung nicht schmälert, dass für manche Angehörige der unteren Schichten die Zusammengehörigkeit auf nationaler, territorialer, religiöser aber auch europäischer entweder nicht bestand oder sich nur als von geringerer Bedeutung erwies. Dieses vorhin angesprochene Sprichwort: „Lieber Türkisch als Päbstisch.“ zeigt die innerchristlichen Probleme und Feindseligkeiten, womit das Christentum als maßgebliches gesamteuropäisches Kulturelement dieser Zeit an ihrer Kraft verlor, wenn sogar „Andersgläubige, Heiden“ über das Grundkonzept des gemeinsamen Glaubens gestellt wird.
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(1) K. Vocelka, Die politische Propaganda Kaiser Rudolf II (1576-1612), Wien 1981
Ein Beispiel für die hier gemeinte Propaganda, die das einfache Volk von der türkischen Bedrohung überzeugen sollte ist die Darstellung des Pontius Pilatus als Türke im Lambacher Kreuzweg. Der Verurteilter und Mitschuldige an Christies Tod und somit Erzfeind der gesamten Christenheit wird als Türke, erkennbar durch die spezifische Kleidung mit Turban, dargestellt.
(2) Maximilian Grothaus; Das Türkenfeindbild; Im Buch für die Lehrer Seite 57-67
(3) Hans Wagner; Österreich und die Türken S. 13-19
(4) „Kann ich den Hommerl nicht umstimmen, will ich die Hölle aufrühren“ – Bergils Üneis
(5) Martin Luther. Aufruf an die bedrohte Christenheit Aus Luthers Türkenschriften; Karl Kindt Hamburg 1951; Kapitel Süleiman bei uns selbst Seite 19; Zitiert aus der Münchner Luther Ausgabe (2. Aufl., Ergänzungsreihe, 3. Band, 1938)

Reiche, Stände, Solidarität

Dem hl. Röm. Reich deutscher Nation spielte im Zuge der Türkengefahr eine besondere Rolle. Mit der Funktion als Schutz- und Schirmherr des fortgeführten heiligen römischen Reiches sah sich der Kaiser als Beschützer der Christenheit. Maximilian I, als auch sein Nachfolger Karl V nahmen diese Aufgabe in Anspruch. In Bezug auf die Türkenbedrohung des 16. Jahrhunderts hätte das eine Verpflichtung der Zurückdrängung der osmanischen Streitkräfte bedeutet, was weder Maximilian I, noch Karl V vollbrachten. Diese Verpflichtung als Schirmherr der Christenheit galt auch zur Herrschaftslegitimation.
Karl V trat die Herrschaft der österreichischen Erblanden seinem Bruder Ferdinand I (1) ab, womit gleichzeitig eine Distanzierung des Türkenkonflikt seitens Karl V zu beobachten ist. Wegen der vernichtenden Niederlage des ungarisch böhmischen Königs Ludwigs II bei Mohács, wurde Johann Zápolya zum neuen ungarischen König gewählt. Der König der österreichischen Erblanden Ferdinand I akzeptierte diesen jedoch nicht und ließ sich von einer Minderheit des ungarischen Adels zum König wählen. Somit war ein Dreikampf um das Königreich Ungarn entbrannt, der schließlich auch in einer Dreiteilung endete. Der durch die Habsburger besetzte westliche Teil Ungarns konnte nicht einmal durch ein Bündnis zwischen Süleyman und Zápolya dem röm. deutschen Kaiser entrissen werden. Somit bestand das Land aus einem königlichen Ungarn, dem osmanischen Ungarn und dem Fürstentum Siebenbürgern, das weitgehende Selbstständigkeit genoss, obwohl es der Pforte unterstand (2). Selbst der Tod Zápolyas 1540 änderte nichts an der Situation des Landes, da die habsburgerischen und osmanischen Grenzen zu festgefahren waren um eine Machtverschiebung herbeizuführen.
Die Situation in Ungarn beeinflusste auch noch andere europäische Mächte. Ferdinand I war bei jedem Zug gegen die Türken auf die Hilfe des hl. Röm. Reichs deutscher Nation angewiesen. Kaiser Karl V ließ Ferdinand in der Türkenfrage freie Hand, da er mit Konflikten am Mittelmeer sowie späteren religiösen Konflikten im Inneren des Reiches beschäftigt war. Im hl. Röm. Reich deutscher Nation vertreten die Reichsstände eine eigene Machtposition, auf die Ferdinand angewiesen war. Er benötigte militärische und finanzielle Hilfe um gegen die Türken bestehen zu können. Diese Mittel wurden mit religiösen Zugeständnissen den Protestanten gegenüber ermöglicht, was eine Schwächung des Reiches im Sinne Karls V bedeutete, der sich eine einheitliche katholische Kirche wünschte. Somit wurde am Reichstag zu Augsburg die „eilende Türkenhilfe“ vereinbart, die eine Stärke von 40.000 Fußknechten und 8000 Reisige umfasste. Nach der gescheiterten Wiener Türkenbelagerung 1529 zog Sultan Süleyman I 1532 erneut aus Konstantinopel Richtung Wien. Im Gegenzug zum „Nürnberger Aufstand“ gewährten die Reichsstände eine Soforthilfe von 30.000 Fußknechten und 6000 Reitern, die somit größte eilende Türkenhilfe aller Zeiten. Hinzu kam noch Unterstützung seitens der böhmischen Stände, den österreichischen Erblanden und dem Papst Clemens VII. Insgesamt umfasste dieses Heer gegen die Osmanen 120.000 Krieger. Da die Türken jedoch nicht bis nach Wien verrückten kam es zu keinem direkten Zusammenstoß, sondern nur zu kleineren Randschlachten von Splittergruppen. Die Türken zogen ab und Ferdinand konnte das Reichsheer nicht für eine Eroberung Ungarns verwenden, da das Königreich Ungarn kein Bestandteil des Reiches war und somit das Ziel nur habsburgerischen Expansionspläne unterstützt hätte. Dies zeigt den Unterschied zwischen der ständischen Realität und der habsburgerischen Universalidee(3). Frankreich beteiligte sich nicht direkt am ungarischen Konflikt, jedoch vertraten sie fortwährend eine antihabsburgerische Politik, die mit dem Bündnis zwischen Frankreich und dem osmanischen Reich 1536 einen ihrer Höhepunkte fand. Frankreich wirkte somit direkt gegen einen europäisch christlichen Einheitsgedanken, da er durch das Bündnis mit dem Osmanischen Reich gegen die Habsburger machtpolitische Einflüsse in ihrer Wichtigkeit über die der christlichen Solidarität stellte.
Die Entwicklung zwischen den Türken und den Habsburgern war von immerwährenden Brüchen von bestehenden Waffenstillständen durchwachsen und brachte eine immer massivere Verstärkung der Militärgrenze mit sich. Nach Ferdinands Tod führte Maximilian II diese Politik fort. Eine von ihm erforderte Türkenhilfe mittels der Reichsstände im Jahr 1566 brachte nicht die erwünschte Wirkung und drängte nur zu einem erneuten Waffenstillstand. Schließlich verwarf Maximilian die Idee eines Zugs gegen die Türken über Ungarn, da er diese Option nicht einmal im Zuge der heiligen Liga 1571 in Erwägung zog (4).
Dieses Vorgehen der heiligen Liga gegen die Osmanen lag einer gesamtchristlichen Idee, eines Vorgehens auf Land- und Seeweg zugrunde. Am 20. Mai 1571 wurde diese Liga zwischen Papst Pius V, Spanien, Venedig, Genua, dem Herzogtum Savoyen, Parma, Urbino und Florenz geschlossen. Die ursprüngliche Überlegung der Gründung war die Rettung Zyperns vor einer osmanischen Eroberung, um die Vormachtstellung im Mittelmeerraum nicht zu verlieren. Da Zypern jedoch bereits im August 1571 erobert wurde kam diese Rettung zu spät, die heilige Allianz konnte jedoch einen Sieg gegen die osmanische Flotte in der Seeschlacht von Lepanto erringen. Dieser Sieg wurde diplomatisch nicht ausreichend ausgenützt, womit die Türken die Vormachtstellung am Mittelmeer behielten. Ein Grund für die weitere Inaktivität der heiligen Allianz nach der Seeschlacht von Lepanto war der Abzugs Spaniens, um den Krieg in Tunesien zu unterstützen(5). Das hl. Römische Reich verharrte lieber in seinen alten Friedensabkommen mit dem osmanischen Reich und schloss sich daher der heiligen Allianz nicht an. Frankreich mied den Beitritt, um seine guten Beziehungen zur Pforte nicht aufs Spiel zu setzen. Diese heilige Allianz ist trotz alle dem eine gemeinsame europäische Aktion zur Lösung des Türkenproblems, das auf einem christlichen Fundament aufbaut. Der Abzug Spanien, sowie dessen Beweggründe zum Beitritt, die Vormachtstellung am Mittelmeer zu gewinnen, bauten keinesfalls auf einer christlichen Solidarität auf. Dieses Ausbleiben wird durch die beiden wichtigsten weltlichen Vertreter der Christenheit, nämlich Frankreich und dem hl. röm. Reich, ein weiteres Mal bestätigt.
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(1) Ferdinand I: geb. 1503; gest. 1564; Regent der österreichischen Erblande ab 1521, König von Böhmen und Ungarn ab 1526; Kaiser des hl. Röm. Reich dt. Nation von 1558-64
(2) Bertrand Michael Buchmann, Österreich und das osmanische Reich. Eine bilaterale Geschichte, 1999 Wien; Die Dreiteilung Ungarns 98ff
(3) Bertrand Michael Buchmann, Österreich und das osmanische Reich. Eine bilaterale Geschichte, 1999 Wien; Neue Türkengefahr 1532; Seite 93ff
(4) Almut Höfert; Den Feind beschreiben, „Türkengefahr“ und europäisches Wissen über das Osmanisches Reich 1450-1600; 2003 Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main; Seite 112f
(5) Ekkehard Eickhoff, Rudolf Eickhoff, Venedig, Wien und die Osmanen. Umbruch in Südosteuropa 1645-1700, 1970 München

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