Einheitgedanke auf katholíscher Ebene

Falls in der frühen Neuzeit ein Gedankenmodell bestand, das als europäischer Einheitsgedanke zu deuten ist, war er auf einer religiösen Ebene angesiedelt. Das Christentum bildet das kulturelle Fundament einer europäischen Einheit, was im Zuge der Türkenbedrohung für Europa propagandistisch zur Erhöhung der europäischen Solidarität genutzt wurde.
Nach der türkischen Eroberung Konstantinopels 1453 reagierte die katholische Kirche mit einem Kreuzzugsaufruf gegen den Erbfeind der Christenheit. In der Kreuzzugsbulle des Papstes Nikolaus V wurden Mohammed in Verbindung mit dem apokalyptischen Interpretationsmodell gebracht. Danach wurden die Türken mit dem vierten Tier der Apokalypse gleichgestellt.(1)
Danach sah ich in meinen nächtlichen Visionen ein viertes Tier; es war furchtbar und schrecklich anzusehen und sehr stark; es hatte große Zähne aus Eisen. Es fraß und zermalmte alles, und was übrig blieb, zertrat es mit den Füßen. (2)
Anhand dieser Betrachtungsweise ergibt sich auch die Schlussfolgerung der Deutung der Türkenbedrohung als eine Strafe Gottes. Dass der Fall Konstantinopels die christlichen Kreuzzugsgedanken wieder aufleben ließ zeigt auch dieses Propagandalied:

Wol auf, in Gotes nam und kraft,
mit sant Jorgen ritterschft
wider die Türkenlesterei!
Got, der will uns selber wesen bei,
das wir si überwinden (...)

Constantinopel, du edle stat,
We dem, der dich verraten hat !
Von grossem jamer gehort ich nie,
du rewst mich ser, das clag ich hie,
das las dich Got erparmen

Es ist der kristenheit ein stos,
den babst des jamers ser verdros,
er hadt dem keiser brief gesant,
dar er furpas schreib in die land
zu fürsten und zu herren.

Der Türckh, der swur in zoernes not
Auf Machmet bei seinem Got,
er well die kirchen gar zerstören,
sand Peters münster gar uneren,
seine roß darin ze stellen.

Auch hat man mir fürbar geseit,
ein Türck, der sei lank und preit
und hat ein pöß grausam gestalt;
man hat in eben abgemalt;
und hatz dem babst gesender (...)

Sunderlich ich auch sprich
Groß und klein, arm und reich,
munich und pfaff, all geistlich orden,
die sullen auß iren kloster varen,
wider die Türcken zu vechten (...)
(3)

Diese Kreuzzugspropaganda lässt sich bis ins 17. Jahrhundert verfolgen . Es wurde unter Papst Calixt I ein tägliches Läuten der Kirchenglocken zu Mittag, um zum Gebet gegen die Türken aufzufordern. Darüber hinaus wurde auch der „Türkenzehnt“ zur Finanzierung eines Kreuzzuges eingeführt. Dieser „Türkenzehnt“ ist von der „Türkensteuer“ klar zu trennen, da der „Türkenzehnt“ im Gegensatz zur „Türkensteuer“ geistlicher Natur war. Auch Papst Pius II vertrat den Kreuzzugsgedanken im Zuge der Türkenbedrohung. Besonders in der Rede „Cum bellum hodie“ am Kongress von Mantua (1459) versuchte er die weltlichen Führer zum Kreuzzug gegen die apokalyptische Bedrohung zu gewinnen. Pius II versuchte sogar mit einem Brief, „Epistula ad Mahumetem“ (1461) an den Sultan Mehmed II, ihn und seine Nation zum Christentum zu bekehren, wobei jedoch fragwürdig ist, ob dieser Brief den Vatikan je Richtung Pforte verlassen hat. Sein Vorhaben des Kreuzzugs im Jahr 1463 schlug fehl, da er nicht genug Fürsten zu einem Krieg bewegen konnte.
Europa ist für Enea Silvio / Pius II. primär Christianitas, eine christliche Verteidigungs- wie auch eine Offensivgemeinschaft. Es ist ein Europa in Waffen, gerichtet vor allem gegen den Islam, den man in Gestalt ‚des Türken’ als aggressiv zu erleben glaubte. Der Gedanke christlich-europäischer Identität qua Wertegemeinschaft im antiken Erbe unter Einschluss der orthodoxen Griechen wird bei ihm, dem Humanisten, zwar kultiviert, ist aber im engeren Bezug auf Europa weniger deutlich entwickelt. (4)

Nach dem Tod Pius II verlor die Kreuzzugsidee an ihrer Schwungkraft. Papst Alexander VI aus dem Haus Borgia vertrat die Politik der Hinhaltung des Kaiser Friedrich III , die nur spärlich von Aktivitäten gegen die Türken durchzogen war. Während 5. Laternkonzils1511, wurde die Predigt der Apokalyptik verboten, womit die bisherigen Kreuzzugsreden an Bedeutung verloren. Erst mit Papst Leo X lebte die Kreuzzugsidee wieder auf. 1514 entsteht jedoch aus seinem Kreuzzugsplan in Ungarn der Bauernaufstand unter György Dosza, der sich nicht gegen die Osmanen, sondern gegen den ungarischen Adel richtete .
Die christliche Verteidigungs- und Offensivgemeinschaft Europas bestand wohl auf geistlicher Basis des 15. Jahrhunderts, eine christliche Einheit nach dem Thesenanschlags Luthers wird jedoch fragwürdiger.
____________________________________-
(1)Geschichtsdenken und Ständekritik in apokalyptischer Perspektive; Martin Luthers Meinungs- und Wissensbildung zur Türkenfrage auf dem Hintergrund der osmanischen Expansion und im Kontext der reformatorischen Bewegung; Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde des Fachbereichs Kultur- und Sozialwissenschaften der FernUniversität Hagen: vorgelegt von Dr. Michael Klein aus Hamm/Sieg
(2) Aus: Die Vision von den 4 Tieren und vom Menschensohn: Dan; 7, 1-28
(3) Original 34 Strophen; aus B.M. Buchmann: Daz jemant singet oder sait. Das volkstümliche Lied als Quelle zur Mentalitätengeschichte des Mittellters. Frankfurt/M. – Berlin usw. 1995, 161f.)
(4) Helmrath, Johannes: Enea Silvio Piccolomini (Pius II.) - Ein Humanist als Vater des Europagedankens?. In: Themenportal Europäische Geschichte (2007), URL: http://www.europa.clio-online.de/2007/Article=118.

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