Samstag, 29. Dezember 2007

Kaiser Maximilian I – eine Kreuzzugsidee:

Der „letzte Ritter“ Maximilian I war nicht der Kaiser in dessen Regentschaft das Hause Habsburg zu einer Großmacht heranwuchs, er bereitete dies jedoch vor. Friedrich III, Vorgänger Maximilians, erkannte früh die Bedrohung die vom Osmanischen Reich ausging. Die habsburgerische Grenze war unter seiner Regentschaft von 1471 bis 1483 durch Einfälle in Kärnten betroffen. Vorwiegend waren die Türken eine direkte Bedrohung für Ungarn und Venedig. Das christliche Europa war seit der Eroberung Konstantinopels 1453 schwer getroffen, da dieser Angriff ein direkter Angriff auf die Christenheit war. Seit eben dieser Eroberung Konstantinopels wurden die Forderungen nach einem Kreuzzug der Christenheit gegen die Andersgläubigen immer lauter. Die Mobilisierungen erwiesen sich jedoch aus machtpolitischen Gründen schwieriger als erwartet, da nicht alle Mächte direkt von den Türken betroffen wurden. Einzig der ungarische König Wladislaw rückte mit einem polnisch ungarischen Heer gegen die Türken vor(1). Das Ziel, die Rückeroberung Konstantinopels war jedoch zu hoch gesteckt und so endete der Kreuzzug an der ungarischen Grenze mit einem Waffenstillstand 1444. Dieser wurde kurz darauf von ungarischer Seite gebrochen, was schließlich die Zerschlagung des Kreuzfahrerheeres und den Tod König Wladislaw zur Folge hatte. Die zu Hilfe eilenden Venediger konnten das Vorrücken der Türken auch nicht mehr verhindern(2). Der vom Papst motivierte und finanziell unterstützte Kreuzzug ist nicht Zeuge von europäisch christlicher Solidarität oder Einheit, da sich keine einzige Nation involvierte die keine akute Bedrohung durch die Türken erfuhr und sich aus christlicher Solidarität oder aus der Überlegung des europäischen Einheitsgedanken bereit erklärte den Türken entgegenzuwirken.

In den Reichstagen zu Frankfurt, Regensburg und Wiener Neustadt wurden diese Türkenkriege geschildert und selbst zum Türkenkrieg aufgerufen. Diesem Aufruf wurde jedoch nicht gefolgt. Die eigenen Grenzen wurde gegen die Türken sehr wohl geschützt. Friedrich III gründete den St.-Georgs-Orden, der mit einem System von Ordensburgen die Grenze gegen die Türken schützen sollte. Maximilian führte die Politik seines Vaters weiter und sah sich als Verteidiger der Christenheit. Die Türken wurden im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert als Gottesgeißel für die eigenen Laster gesehen, vergleichbar mit einer der göttlichen Plagen.
Mit der burgundischen Heirat Maximilians verlagerte sich die Machtbasis weiter Richtung Westen und folglich durch Expansionspläne in Richtung Italien auch gegen Süden. Speziell dieser langwierige Krieg gegen die französischen und venezianischen Kräfte zur Machterweiterung im Süden war sehr kostspielig und bracht die geistige Frage der Türkengefahr wieder in ein politisches Licht. Auf den Reichstagen war die drohende Türkengefahr ein gängiges Thema wo vor allem kirchliche Prälaten geladen wurden um diese Thematik zu propagandierten. Der römisch-deutsche König argmunentierte mit seiner gottgegebenen Schutzfunktion dem Christentum gegenüber, um die leeren Kriegskassen zu füllen. Ob diese Gelder immer gegen einen Abwehr der türkischen Bedrohung genutzt wurden ist sehr fragwürdig. Eine Geldzufuhr an die Südfront ist wahrscheinlicher, womit der christlich europäischen Einheitsgedanken wieder einmal auf weltlicher Ebene benutzt wurde. In diesem Punkt um die Einstellung Maximilians in Bezug auf seine religiöse Verantwortung teilen sich die Meinungen. Die einen sehen ihn als christlichen Herrscher, dessen oberstes Ziel es war die Christenheit zu schützen und ein Kreuzzug gegen die Türken einfach wegen den äußeren Umständen und Hindernissen einfach nicht möglich war (3). Andere sehen ihn als rein expansionsbedachten Herrscher, der die christliche Idee propagandistisch ausnutzte, um seine Kriegszüge zu finanzieren (4). Diese Schutzfunktion des Königs gegenüber den Christen wurde beispielsweise durch Flugschriften, wie „der türkische Anschlag des Königs von Frankreich habe ihm das gegen die Türken bereits erhobene Schwert aus der Hand gerissen.“ aufarbeitet (5).

Als Beispiel der Argumentationsweise Maximilians wird hier noch ein Auszug auf einem Aufruf vom 20. Juni 1502 zur christlichen Hilfe gegen die Türken dargelgt:

...Deshalben die Turcken Ir volk so sy wider die venediger gebrachtet widerumb abgefordert. Und ain thails gegen der Cron Hunger Irer Haptlut die yetz den obgemelten schaden und abbruch In Hunger und Crabbaten gethan. Damit gesterkt und das venedisch meer allain mit hundert schiffen besetzt haben dadurch sy disen Summer mit kainer macht uff die Venediger ziehen mugen. Es wäre dann das mit der Christlichen Hilff nötig (...) so werden die Turcken de Jeryza erobern und all ire macht allenthalben uff die Christenhait wenden in kurzer Zitt sovil Cristenlichen lannd in Ir Regierung bringen das nit moglichen sein werdet sich in ir gewalt fern uffzuhalten dadurch mannch Christenmensch und Seel in ewyg verderben und verdampnis gesetzt wird.(6)

In diesem Beispiel wird auch gut ersichtlich, wie Maximilian versucht mit religiösen Argumenten einerseits ein Vorgehen gegen die Türken zu rechtfertigen, andererseits ein Vorstoß gegen Venedig zu legitimieren, dazu aber noch später.
Ein Argument, dass für die christliche Solidarität Maximilians spricht ist, ein Kreuzzugsplan, der ganz Europa mit einbezieht. Dieser war aber wieder auf Kosten einer Macht, nämlich Venedig. Der Plan des Kaisers trug einen allgemeinen Frieden Europas als Ziel nach der Aufteilung Italiens auf Kosten Venedigs und der gemeinsamen Lösung des Türkenproblems durch eine großen Türkenzug, mit Hilfe aller europäischen Großmächte und dem Papst. Dieser Türkenzugsplan verweist auf drei Gruppen, die unterschiedliche Routen einschlagen sollten, um die Türken zu bezwingen. Die Habsburger sollten vorweg gegn die Türken ziehen, wohingegen Frankreich und England erst im zweiten Jahr folgen sollten, um in der Zwischenzeit die Sicherheit des Christentums in Europa zu gewährleisten. Maximilians Kreuzzugsplan wurde propagandistisch durch Flugschriften und Wanderprediger, auch mit der Unterstützung Leo X, aufarbeitet. Ein wichtiger Punkt dabei war auch die Kreuzzugssteuer, je intensiver man jedoch dafür warb, desto größer war das Desinteresse. Die Großmächte Frankreich und England stellten sich vehement gegen den Kreuzzugsplan Maximilians. Frankreich sah hinter diesem Plan bloß den Hintergedanken der Schwächung Venedigs. England warnte vor Frankreich, dass sie im Zuge des Kreuzzugs Italien einnehmen würde. König Karl versprach dem Papst Truppen, wobei wohl der Hauptgrund die Wahl zum Kaiser des hl. Röm. Reichs dt. Nation war und die Reichsstände behauptete ein Türkenkrieg wäre nicht Sache des Reiches sondern aller christlichen Mächte.

Der alleinige Glaube der guten Absichten Maximilians ist wohl kaum gerechtfertigt. Das Hauptaugenmerk lag wohl immer auf Italien und nie Richtung Osten, was auch durch vorerst erwähnte französische und englische Befürchtungen bestätigt wurde. Außerdem war es dem König immer wichtig über Italien in den Kreuzzug zu ziehen, alleine wegen einer möglichen Kaiserkrönung in Rom, die ihm lange durch venezianisches Verbot verwehrt blieb. Das wohl schlagenste Argument ist wohl die Tatsache, dass 1510 ein Agent beauftragt wurde, um über ein osmanisch- habsburgerisches Geheimbündnis gegen Venedig zu verhandeln .
An dem Beispiel Maximilian wird einerseits der geografische Faktor in Bezug auf die Türkengefahr gut gezeigt , andererseits wird auch die besondere Bedeutung des Türkenkonflikts entkräftet, da in der Politik Maximilians der Konflikt an der Südgrenze mit Venedig und Frankreich größtenteils stärkeres Gewicht betrug als der türkische Konflikt im Südosten. Somit hat die religiöse Bedrohung nicht einmal für den röm. deutschen König und späteren hl. röm. Kaiser deutscher Nation, dem Schutzherrn der Christenheit, Priorität vor den innereuropäischen Machtkämpfen.
__________________________________
(1) Almut Höfert; Den Feind beschreiben, „Türkengefahr“ und europäisches Wissen über das Osmanisches Reich 1450-1600; 2003 Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main; par. 105
(2) Kaiser Maximilian I; Band IV; Hermann Wiesflecher; 1981 Verlag für Geschichte und Politik Wien/München; Kap. 6
(3) Kaiser Maximilian I; Band IV; Hermann Wiesflecher; 1981 Verlag für Geschichte und Politik Wien/München; Kap. 6
(4) Almut Höfert; Den Feind beschreiben, „Türkengefahr“ und europäisches Wissen über das Osmanisches Reich 1450-1600; 2003 Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main;
(5) Wiesflecker, Maximilians I. Türkenzug 1493/94, S.155
Dabei ist das Eingreifen Frankreichs in Maximilians Heirats- und Expansionspläne in der Bretagne gemeint, das Maximilian davon abhielt seine Eroberungen in Ungarn zu sichern.
(6) HHStA Wien Maximiliana 12, 2, Konv. 2, Fol. 184. Siehe auch Diederichs, Kaiser Maximilian als politischer Publizist, S.44

Luther zur Türkenbedrohung

Die christliche Verteidigungs- und Offensivgemeinschaft Europas bestand wohl auf geistlicher Basis des 15. Jahrhunderts, eine christliche Einheit nach dem Thesenanschlags Luthers wird jedoch fragwürdiger. Um dies zu analysieren sind die Türkenschriften Martin Luthers maßgeblich, in denen seiner Einstellung zur Türkenbedrohung, sowie die vorgesehenen weltlichen und geistlichen Aufgaben klar dargestellt werden.
Luther sieht die Türken gleich wie die katholische Kirche als Geißel und Strafe Gottes . Jedoch verurteilt er die Kirche in ihrer Kreuzzugspropaganda. Rom wird der Vorwurf gemacht die Kreuzzugspropaganda nur wegen Gründen durchzuführen, um sich von den eigentlichen Aufgaben, die der Kirche von Gott zugewiesen wurden, abzulenken.
Wiewohl jetzt die meisten, und zwar die Mächtigen in der Kirche, von nichts anderem träumen als von Kriegen gegen die Türken. Sie wollen nämlich nicht gegen Gott streiten, der da sagt, er suche mit dieser Rute unsere Missetaten heim, weil wir sie nicht bedenken und abstellen wollen. (1)

In dieser Stellungsname Luthers lassen sich bereits Punkte ableiten, denen Luther während seines gesamten Lebens treu blieb. Die beiden Sichtweisen, die Türkenbedrohung als eine Geißel Gottes, sowie das Verbot der Kirche einen Religionskrieg gegen die Türken zu führen, ziehen sich durch alle lutherischen Türkenschriften . (2)
Luhter sieht in der türkischen Expansion einen doppelten Angriff auf die Christenheit, der nur durch ein Zusammenspiel von weltlichen und geistlichen Kräften abgewehrt werden kann. Einerseits muss der Tyrannei des Totalstaates mit irdischen Waffen entgegengesetzt werden, was Aufgabe des Kaisers des hl. röm. Reichs deutscher Nation ist. Andererseits trifft die Christenheit ein Angriff des Unglaubens und der Perfidie des antichristlichen Reichs gegen den mit geistlichen Mittel entgegenzuwirken ist. Es ist zu bedenken, dass primär die geistliche Abweht erforderlich ist um die türkische Gefahr abzuwehren. Ohne geistliche Waffenrüstung wäre es sinnlos gegen die Türken zu kämpfen, damit ist aber keineswegs eine Legitimation der christliche motivierten Kreuzzugsidee gemeint. Luther zieht hier eine strikte Trennung zwischen weltlich und geistlich, eine geistliche Waffenrüstung meint vielmehr eine Stärkung des Glaubens durch Gebete und Buße um Gott wohl zu stimmen:
Es wird an denen liegen, die da büßen und sich bessern, Gottes Wort und seine Sakramente ehren, vor Gott sich demütigen und herzlich beten, damit such Gott erweichen lasse und seine Engel bei uns im Felde halte. Sonst ist’s verloren und muss die Strafe über uns gehen. (3)

Somit ist ein gottesfürchtiges Volk notwendig, um „die Engel im Felde zu halten“, was die Vorrangigkeit der geistlichen Abwehr vor der weltlichen Abwehr erklärt. Dabei darf die weltliche Abwehr auch nicht vernachlässigt werden, denn laut Luther nimmt die Leichtfertigkeit der irdischen Rüstung auch dem Gebet die Kraft. Die weltliche Abwehr ist dem „Herr Carolus“ aufgetragen. Dieser ist für den Schutz seiner Untertanen verpflichtet, andere Kriegsgründe wie Ehre, Ruhm, Raumnot, Vergeltung, nicht einmal die notwehrhafte Verteidigung des Reichsbodens sind nach Luther zulässig. (4) Mit der Betonung der gottgegebenen Aufgabe des Kaisers spielt Luther auf die Plünderungen, Angriffe und Kleinkriege in grenznahen Gebiete an, wo Untertanen nicht zu genüge geschützt werden. Weiters mahnt Luther vor den Türken als ernstzunehmenden Feind, der nicht mit europäischen Mächten vergleichbar ist.
..wider den Türken kriegen ist nicht wie wider den König von Frankreich, Venedig oder Papst kriegen; er ist ein anderer Kriegsmann. (5)

Deshalb empfiehlt Luther die innereuropäischen Machtkämpfe einzustellen und einig gegen die türkische Bedrohung vorzugehen. In diesem Punkt zeigt sich eine Unklarheit in Luthers Schriften. Einerseits spricht er von der Einigkeit des Reiches: ...alle Fürsten und das ganze Reich zur Barmherzigkeit bewege... (6), andererseits wird vor einer Zerrissenheit der Fürsten
und Könige gewarnt: ...wenn unsere Könige und Fürsten ihre Sachen dieweil auf ein Knäuel münden und hierin beide: Kopf und Herz, beide: Hände und Füße zusammentäten, dass ein einziger Leib wäre eines mächtigen Haufens, aus welchem man nachzusetzen hätte, und nicht, wie bisher , geschehen, einzelne Könige und Fürsten hinan lassen ziehen, gestern König von Ungarn, heure den König zu Polen, morgen den König zu Böhmen, bis sie der Türke einen nach dem anderen auffräße und nichts ausgerichtet würde, als dass man unser Volk verrät und auf die Fleischbank opfert und unnützlich Blut vergießt. (7)
Im ersten Zitat wird nur auf das hl. röm. Reich deutscher Nation angespielt, womit man meinen könnte, dass Luther nicht im gesamteuropäischen Rahmen, sondern im Rahmen des Reichs denkt. Dies wird jedoch im zweiten, längeren, Zitat relativiert, da das Königreich Ungarn, sowie Polen angeführt werden, die sich beide nicht im hl. röm. Reich deutscher Nation befinden. Als weltlichen Führer wird immer wieder „Kaiser Karolus“ angeführt, was jedoch keine Eindeutigkeit für das vorliegende Problem zeigt, da der Kaiser des hl. röm. Reichs und besonders bei der habsburgerischen Türkenpropaganda als Verteidiger der Christenheit und somit laut unseres christlichen europäischen Einheitsbegriffes folglich auch als Verteidiger Europas sieht. Luther verneint natürlich die Stellung des Kaisers als Schirmherr der Christenheit, doch sieht er meiner Meinung nach durch die Türken den christlichen Glauben gefährdet, was somit laut unseres christlich europäischen Einheitsbegriffes ganz Europa betreffen würde und nicht alleine das hl. röm. Reich deutscher Nation.
Seit dem Thesenanschlag in Wittenberg ist auf alle Fälle klar, dass ein einheitlich christlich motivierter Kreuzzug gegen die Türken nicht mehr geben kann. Luther geht sogar so weit, dass die Teilnahme an den Türkenkriegen vermieden werden sollte, solang der Name des Papstes noch soviel Ansehen und Macht besitzt. Diese Meinung stieß auf vehementen Wiederstand, der durch eine Berichtigung Luthers absank, die besagte, dass eine Beteiligung an Türkenkriegen als Verpflichtung gegenüber die Obrigkeit erforderlich ist, ausgeschlossen werden nur die Kreuzzüge. Die Kirche hat laut Luther kein Recht gegen die Ungläubigen vorzugehen, wird sie bedroht und angegriffen, so darf sie auf keinen Fall zu den Waffen rufen, um sich zu verteidigen, da sie somit von dem christlichen augertragenen Weg abkommen würde.
Die Reformation war ein sehr bedeutender Faktor im Kampf gegen die Türken. Die Habsburger waren nun zu einem zwei – Fronten - Krieg verpflichtet, der die Schlagkraft den Türken gegenüber schwer dämpfte. In Bezug auf den europäischen Einheitsbegriff hat sich die Reformation nur spärlich ausgewirkt. Der Grundgedanke der Wurzel der Christenheit blieb bestehen und beide Papst und Luther stellten die Türkenbedrohung über das konfessionelle Problem in Europa. Das hemmende Problem war jedoch die Auslegung, da die gegenseitigen Lösungen des Konfliktes nicht akzeptiert wurden. Die Kirche sah die Lösung in den Kreuzzügen als einheitliche christliche Aktion unter der geistlichen Führung des Papstes und der weltlichen Führung des Kaisers oder etwaigen anderen Kaiser und Könige. Dahingegen sah Luther die strikte Trennung in eine geistliche und weltliche Abwehr, die sich ideologisch nicht überschneiden.
Für die folgende Behandlung dieser Materie ist es von Bedeutung diesen christlichen Einheitsgedanken auf geistlicher Ebene immer im Hinterkopf zu behalten, um die Wiedersprüche und Konflikte zwischen weltlicher und geistlicher Auslegungen zu verstehen. In vielen Fällen möchten weltliche Herrscher den geistlichen Einheitsgedanken für sich auslegen, die Frage ist jedoch, ob diesen weltlichen Auslegung auch christliche Einheitsüberlegungen zu Grunde liegen oder andere Einflüsse maßgebend sind. Dies sollte schließlich eine Bejahung oder Verneinung des europäischen Einheitsgedanken auf der ausführenden weltlichen Ebene ergeben, die mit dem christlich, geistlichen Einheitsgedanken, zu einem gesamteuropäischen Einheitsgedanken verschmelzen, der in allen Lebensbereichen Durchsetzungskraft aufweist und nicht wie der rein auf dem Christentum basierende nur auf einer geistlichen, meist passiven Ebene.
___________________________________
(1) Münchner Luther Ausgabe I (2. Aufl., Ergänzungsreihe, 3.Band. 1938) Seite 161
(2) Martin Luther. Aufruf an die bedrohte Christenheit Aus Luthers Türkenschriften; Karl Kindt Hamburg 1951; Zitiert aus der Münchner Luther Ausgabe (2. Aufl., Ergänzungsreihe, 3. Band, 1938) Seite 7
(3) Luthers Türkenschrifte, Weimarer Ausgabe; Kap. 53, Seite 393
(4) Martin Luther. Aufruf an die bedrohte Christenheit Aus Luthers Türkenschriften; Karl Kindt Hamburg 1951; Kapitel Weltliche Abwehr. Kein Kreuzzug, keine Hetze Seite 32f; Zitiert aus der Münchner Luther Ausgabe (2. Aufl., Ergänzungsreihe, 3. Band, 1938)
(5) Luthers Türkenschriften, Münchner Luther-Ausgabe (2. Aufl., Ergänzungsreihe, 3. Band, 1938) Seite 445
(6) Seite 443
(7) Seite 446

Einheitgedanke auf katholíscher Ebene

Falls in der frühen Neuzeit ein Gedankenmodell bestand, das als europäischer Einheitsgedanke zu deuten ist, war er auf einer religiösen Ebene angesiedelt. Das Christentum bildet das kulturelle Fundament einer europäischen Einheit, was im Zuge der Türkenbedrohung für Europa propagandistisch zur Erhöhung der europäischen Solidarität genutzt wurde.
Nach der türkischen Eroberung Konstantinopels 1453 reagierte die katholische Kirche mit einem Kreuzzugsaufruf gegen den Erbfeind der Christenheit. In der Kreuzzugsbulle des Papstes Nikolaus V wurden Mohammed in Verbindung mit dem apokalyptischen Interpretationsmodell gebracht. Danach wurden die Türken mit dem vierten Tier der Apokalypse gleichgestellt.(1)
Danach sah ich in meinen nächtlichen Visionen ein viertes Tier; es war furchtbar und schrecklich anzusehen und sehr stark; es hatte große Zähne aus Eisen. Es fraß und zermalmte alles, und was übrig blieb, zertrat es mit den Füßen. (2)
Anhand dieser Betrachtungsweise ergibt sich auch die Schlussfolgerung der Deutung der Türkenbedrohung als eine Strafe Gottes. Dass der Fall Konstantinopels die christlichen Kreuzzugsgedanken wieder aufleben ließ zeigt auch dieses Propagandalied:

Wol auf, in Gotes nam und kraft,
mit sant Jorgen ritterschft
wider die Türkenlesterei!
Got, der will uns selber wesen bei,
das wir si überwinden (...)

Constantinopel, du edle stat,
We dem, der dich verraten hat !
Von grossem jamer gehort ich nie,
du rewst mich ser, das clag ich hie,
das las dich Got erparmen

Es ist der kristenheit ein stos,
den babst des jamers ser verdros,
er hadt dem keiser brief gesant,
dar er furpas schreib in die land
zu fürsten und zu herren.

Der Türckh, der swur in zoernes not
Auf Machmet bei seinem Got,
er well die kirchen gar zerstören,
sand Peters münster gar uneren,
seine roß darin ze stellen.

Auch hat man mir fürbar geseit,
ein Türck, der sei lank und preit
und hat ein pöß grausam gestalt;
man hat in eben abgemalt;
und hatz dem babst gesender (...)

Sunderlich ich auch sprich
Groß und klein, arm und reich,
munich und pfaff, all geistlich orden,
die sullen auß iren kloster varen,
wider die Türcken zu vechten (...)
(3)

Diese Kreuzzugspropaganda lässt sich bis ins 17. Jahrhundert verfolgen . Es wurde unter Papst Calixt I ein tägliches Läuten der Kirchenglocken zu Mittag, um zum Gebet gegen die Türken aufzufordern. Darüber hinaus wurde auch der „Türkenzehnt“ zur Finanzierung eines Kreuzzuges eingeführt. Dieser „Türkenzehnt“ ist von der „Türkensteuer“ klar zu trennen, da der „Türkenzehnt“ im Gegensatz zur „Türkensteuer“ geistlicher Natur war. Auch Papst Pius II vertrat den Kreuzzugsgedanken im Zuge der Türkenbedrohung. Besonders in der Rede „Cum bellum hodie“ am Kongress von Mantua (1459) versuchte er die weltlichen Führer zum Kreuzzug gegen die apokalyptische Bedrohung zu gewinnen. Pius II versuchte sogar mit einem Brief, „Epistula ad Mahumetem“ (1461) an den Sultan Mehmed II, ihn und seine Nation zum Christentum zu bekehren, wobei jedoch fragwürdig ist, ob dieser Brief den Vatikan je Richtung Pforte verlassen hat. Sein Vorhaben des Kreuzzugs im Jahr 1463 schlug fehl, da er nicht genug Fürsten zu einem Krieg bewegen konnte.
Europa ist für Enea Silvio / Pius II. primär Christianitas, eine christliche Verteidigungs- wie auch eine Offensivgemeinschaft. Es ist ein Europa in Waffen, gerichtet vor allem gegen den Islam, den man in Gestalt ‚des Türken’ als aggressiv zu erleben glaubte. Der Gedanke christlich-europäischer Identität qua Wertegemeinschaft im antiken Erbe unter Einschluss der orthodoxen Griechen wird bei ihm, dem Humanisten, zwar kultiviert, ist aber im engeren Bezug auf Europa weniger deutlich entwickelt. (4)

Nach dem Tod Pius II verlor die Kreuzzugsidee an ihrer Schwungkraft. Papst Alexander VI aus dem Haus Borgia vertrat die Politik der Hinhaltung des Kaiser Friedrich III , die nur spärlich von Aktivitäten gegen die Türken durchzogen war. Während 5. Laternkonzils1511, wurde die Predigt der Apokalyptik verboten, womit die bisherigen Kreuzzugsreden an Bedeutung verloren. Erst mit Papst Leo X lebte die Kreuzzugsidee wieder auf. 1514 entsteht jedoch aus seinem Kreuzzugsplan in Ungarn der Bauernaufstand unter György Dosza, der sich nicht gegen die Osmanen, sondern gegen den ungarischen Adel richtete .
Die christliche Verteidigungs- und Offensivgemeinschaft Europas bestand wohl auf geistlicher Basis des 15. Jahrhunderts, eine christliche Einheit nach dem Thesenanschlags Luthers wird jedoch fragwürdiger.
____________________________________-
(1)Geschichtsdenken und Ständekritik in apokalyptischer Perspektive; Martin Luthers Meinungs- und Wissensbildung zur Türkenfrage auf dem Hintergrund der osmanischen Expansion und im Kontext der reformatorischen Bewegung; Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde des Fachbereichs Kultur- und Sozialwissenschaften der FernUniversität Hagen: vorgelegt von Dr. Michael Klein aus Hamm/Sieg
(2) Aus: Die Vision von den 4 Tieren und vom Menschensohn: Dan; 7, 1-28
(3) Original 34 Strophen; aus B.M. Buchmann: Daz jemant singet oder sait. Das volkstümliche Lied als Quelle zur Mentalitätengeschichte des Mittellters. Frankfurt/M. – Berlin usw. 1995, 161f.)
(4) Helmrath, Johannes: Enea Silvio Piccolomini (Pius II.) - Ein Humanist als Vater des Europagedankens?. In: Themenportal Europäische Geschichte (2007), URL: http://www.europa.clio-online.de/2007/Article=118.

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